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Die Stimme ist dem Sänger lebenslange Aufgabe.
Olaf Nollmeyer
Kein großer Sänger je hat diese Aufgabe gelöst, und seit Jahrhunderten schon besteht die Vermutung, dass das prinzipiell unmöglich sei. Der Tod beendet zwar die Beschäftigung mit der Stimme, löst aber die Aufgabe nicht.
„Singen ist genug“ mochte der füllige Ricardo da Silva gesagt, und sein Gazpacho über die sich duckenden Köpfe seiner Frau und seiner Kinder hinweg an die kalkweiße andalusische Wand geworfen haben, wo die zuvor von Ricardos Frau sorgsam pürierten Tomaten und kleine Zwiebelstückchen theatralisch blutrot auf weißem Grund herunterrannen. „Ich singe, also habe ich Stimme - was soll daran so unergründlich sein? Ich singe. Das muß reichen.“
Die großen Sänger in allen Jahrhunderten haben an irgendeinem Punkt ihres Lebens versucht, der Konsequenz, die in dieser Aufgabe liegt, zu entziehen. Sänger, obgleich fürs Singen selbst eine eher einfache Geisteshaltung vonnöten ist, sind schlau. Schlauheit, im Umgang mit Menschen oft erfolgreich, versagt aber ganz bei der Aufgabe, welche die Stimme dem Sänger ist. Da Silva, dem wir den wunderschönen Ausdruck gallado (wörtlich: hühnerartig, bezeichnet eine durchdringende Klangfarbe, die, im äußersten pianissimo kaum hörbar gesungen, den Inbegriff unirdischer Schönheit verkörpert) verdanken, wurde noch in derselben Nacht von einer den Hals zuschnürenden Kehlkopfspannung befallen, die ihn bis zu seinem Ende Jahre später in sorgsamen Griff hatte. Der berühmteste Sänger seiner Zeit, sollte keinen einzigen Ton mehr singen.
Selbst seine Sprechmelodie war derart eingeschränkt, dass sein Sprechen wie das monotone Murmeln eines reuigen Sünders im Klostergarten klang. Für sein stadtbekanntes freudiges und im Wortsinn schallendes Lachen, war er schon als Kind in der Nachbarschaft bekannt gewesen. Nun musste er sich mit der einen Tonhöhe, die ihm noch zur Verfügung stand, dazu noch im quälendsten Falsett, auch fürs Lachen begnügen. Um wie viel schlimmer aber war diese Tonhöhenbeschränkung im Lamento! Ihm gelang bis zu seinem Lebensende kein einziger Seufzer mehr. Der weltberühmte Klageton, im Warten auf sein Gazpacho, oder wenn er sein schönes Halstuch vor einem Konzert nicht finden konnte, wenn Rascheln im Zuschauerraum ihm die Ungeduld und die Unmusikalität des Publikums verriet – dieser so oft ausgestoßene Klageseufzer war Ricardos Frau der stärkste Grund gewesen, ihn zu heiraten. Der unwiderstehliche Grund. Der einzige Grund. Denn ansonsten war mit Ricardo, mit Ricardo als Mann, nicht viel anzufangen. Entweder saß er am Küchentisch oder er lag auf dem Bett. Die angeblich unbefleckte Empfängnis der Jungfrau Maria war für Ricardos Frau aus eigener Erfahrung beinahe glaubhaft.
Ricardos ungeheure Befähigung zum Klageseufzen war aber auch der Grund für eine eigenartige Form der Sünde, die einzig in den Kirchenbüchern seiner Heimatstadt schriftlichen Eintrag fand: alle Frauen der Stadt, junge wie greise, wünschten sich nichts sehnlicher, als eine Nacht mit diesem Manne. Der Beichtvater hatte für derlei schlüpfrige Verfehlungen der Fantasie seiner sich ihm anvertrauenden Schäfchen schließlich eigens den Begriff und die Rubrik pecardo in den Sündenkatalog seiner Kirche eingeführt, eine Mischform der Worte Ricardo(=Ricardo) und (pecado= Sünde). Die unseligen Frauen bezichtigten sich selbst, nachdem sie sich des Tiefschlafs ihres neben ihnen liegenden Ehemannes versichert hatten, halblaut flüsternd eine pecardinhazu sein. Die bis zum Einsinken in süßesten Schlaf wiederholte Selbstbezichtigung Pecardinha! Pecardinha! Pecardinha! soll zur Hochzeit des Ricardoeschen Ruhmes wie ein Flüsterteppich aus jedem Schlafzimmerfenster der Stadt auf den Domplatz gedrungen sein, und dort als tausendstimmiges Zischeln ein einzigartiges Hörerlebnis dargestellt haben.
Im ersten Moment also schwingt immer Triumph in der, auch von Ricardo überlieferten, Behauptung mit, das Singen allein genüge, um die Stimme müsse man sich weiter nicht bekümmern, es gäbe eigentlich gar keine solche Aufgabe, der Erfolg gäbe einem doch recht, um wie viel mehr die Huldigungen des Publikums, des Dirigenten, der Zeitungskritiker.
Und ich bin jemand, der es wissen muß. Der Triumph ist derjenige des Einzelnen über die Kette seiner Ahnen, von der er sich nun losgelöst meint. „Ich bin’s, der diese jahrhundertealte alten Fluch der Sänger gebannt hat! Ich bin aus dem Bannkreis hinausgetreten! Kraft meines Willens! Seht, wie einfach es immer schon gewesen ist. Wie schade um all die Mühe, Tränen, die Verzweiflung der Jahrhunderte! Aber ich – (jetzt spricht der Sänger sorgsam bescheiden und schlicht seinen vollen Namen inklusive Zweit- und Drittnamen sowie Spitznahmen aus) - habe diese sogar bis in die Dunkelzeit des Menschen zurückführende Kette der Mühsal gesprengt! Die Sänger sind ab heute frei!“
Die Biografien der großen Sänger sind immer die Geschichte dieses lebenslangen Ausweichens. Einer lebenslangen Gewissheit, nicht bis zum Letzten vorgedrungen zu sein. Die Stimmen der großen Sänger drücken immer diese unerträgliche Gewissheit aus. Den im Moment des Austritts schon erstarrten, vergoldeten Verzweiflungsschrei der Seele. Und eben dieser Unerträglichkeit ihrer Stimmen wegen werden die Sänger geachtet und verehrt – vielleicht nur, um sie dadurch vorm Schlimmsten zu bewahren, sie davon abzuhalten, tiefer in sich und tiefer in die Aufgabe der Stimme vorzudringen, und sie schließlich zu lösen. Wir können uns aber ein Welt, in der die Aufgabe gelöst wäre, naturgemäß gar nicht vorstellen.
Von Giuseppe Bocca stammt der Ausspruch bis zum Zerreißen – aber noch nicht reißen. Er, und mit ihm seine zahlreichen Anhänger und Nacheiferer, waren der Meinung, dass die Lösung nur der Spannung wegen angestrebt werden sollte, die im stetigen Sich-Nähern der Lösung immer weiter anwächst, ohne jedoch den letzten Schritt zu tun, ja, man hatte Techniken entwickelt, die der Verhinderung des letzten Schrittes dienten, Techniken zum Überwinden immer kleinerer Distanzen, die den letzen einfachen Schritt in immer kleinere Teilschritte aufteilten, so, als müsse man nur noch den Fuß auf die Schwelle setzen, um ins Haus einzutreten, würde stattdessen aber jetzt mit dem Fuß über dem nächsten Kiesel kreisen, die Zehnspitzen sorgsam in die Spalte zwischen zweien setzen, und, sich duckend, zwischen den Kieseln wie durch eine gigantische Felslandschaft laufen.
Der grundlegende Fehler der Boccaeschen Forderung lag natürlich in der Annahme, man wüsste, welche Schwelle die richtige wäre, und könne sich nun, die Hand schon auf dem Türgriff, das Innen hinter der Tür schon ahnend, es riechend, den Moment des Eintretens in einer Art kindlichem Spiel nach Belieben hinauszögern. Es war Bocca nie in den Sinn gekommen, den unglaublichen Sog gerade an dieser Schwelle, gerade an dieser Tür in Betracht zu ziehen – was ein Beweis dafür sein dürfte, wie fern Bocca selbst der Lösung war. Wie könnte ein Mensch dem Sog der Lösung noch mit Absichten wiederstehen wollen, wo es ihn schon von den Füßen reißen müsste, noch Pläne schmieden? Boccas Beschäftigung mit diesem Ganz-Nah-Dran (an der Lösung) zeigte nur, dass er die Aufgabe selbst noch nicht einmal annähernd verstanden hatte. Boccas sämtliche Techniken beschäftigten sich mit der Frage, wie man, nach unendlicher Reise im Hafen angekommen, den Fuß am besten auf den lang vermissten festen Boden setzen sollte, ohne, daß Bocca je bereit gewesen wäre, sich selbst auf die Reise zu machen oder gar ein Boot zu besteigen.
Wie also soll man eine Aufgabe lösen, bei der allein der Versuch, die Aufgabe zu verstehen, schon eine Lebensfrist ausfüllt? Warum sind alle Überlieferungen, alle Versuche und Erkenntnisse der Vorgänger für den einzelnen Sänger völlig wertlos? Die Untersuchungen der Jahrtausende lassen sich lebenslänglich in Bibliotheken nachlesen, ohne dass dieses lesende Studium den Sänger auf die Spur zur Lösung der Aufgabe, die ihm die Stimme ist, setzen könnte. Die Aufgabe ist immer beispiellos. Der Sänger findet sich immer in einer unerhörten Lage wieder, die Freunde, Familie und Lehrer nur weinend betrauern können, wie man von einem fernen Hügel aus einen im Sturm knickenden Baum im Feld betrachtet.
Was einem Sänger im Fall des einfachen Beiseitewischens der Aufgabe blüht, haben wir am traurigen Beispiel Ricardo da Silva bereits studieren können. Mir winkt dasselbe Ende. Vierzig Jahre lang habe ich mich der Aufgabe gewidmet, die mir das Singen und damit meine Stimme auferlegt hat. Alle Tage meines Lebens habe ich nur der Erfüllung dieser Aufgabe gewidmet. Natürlich hat es Teilerfolge gegeben. Wie oft, ob im Konzert oder im heimischen Bad, wurde ich belohnt mit der flüchtigen, aber alles erfüllenden Seligkeit. Ja, ich kenne den Taumel, die Verzückung, die alles andere ist als der eitle Jubel über das Meistern eines schwierigen musikalischen Werks, die Euphorie einer Premiere. Taumel und Verzückung sind anders geartet, haben einen anderen Ort im Körper. Ich habe nie endgültig herausfinden können, wo. Meiner Ansicht nach auch handelt es sich um verschiedene Verstecke des Körpers, in denen sich Verzückung und Taumel im Alltag zurückziehen und sogar unbemerkt vom Menschen ein ganzes Leben lang in trauriger Teilnahmslosigkeit vor sich hin stieren können. Taumel und Verzückung sind der Lohn für die ununterbrochene Beobachtung des Sängers.
Ein Sänger nämlich ist in erster Linie ein Beobachtender, ein Horchender. „Was braucht der Sänger zum Singen?“ lautet die Frage, die jedem Sänger seit Jahrhunderten gestellt wird von seinen Lehrern. Und wie oft wurde als Antwort in Jahrhunderten auf den Mund gezeigt, auf die Lippen. Mund, Lippen aber sind zum Essen, Küssen und zum Fluchen da. Zum Singen braucht es als erstes Ohren. Der Taumel feiert seinen Einzug in den Körper durch die Gehörgänge. Hier bringt eine wahre Stimme den Menschen zum Schmelzen, der Mensch schmilzt von den Ohren her. Ich habe dreißig Jahre meines Lebens gebraucht, um das zu verstehen. Mein Gesang in all den Jahren wurde in Opernhäusern gefeiert, ja, ich war in New York, ja, ich kenne Mailand, ja, ich habe mit den größten Orchestern dieser Welt gespielt – und dennoch war ich der Lösung der Aufgabe der Stimme nie nah. Nah war ich immer bloß der Gunst, und Bewunderung zu erwecken im Publikum und bei Dirigenten war meine leichteste Übung. Ich glaubte mir selbst.
Der 30. Oktober 1998 aber, der Wendepunkt, Tag meiner Vernichtung. Don Giovanni in Rom, als Gast war ich angereist, man hatte mir am Nachmittag die Bühne gezeigt und die verschiedenen lächerlichen Ideen des Regisseurs erklärt, ich bat mir eine Viertelstunde allein aus auf der Bühne, und sang ein paar Töne, wie ich es immer vor einer Vorstellung tat – da glaubte ich plötzlich, nicht allein zu singen. Ganz deutlich hörte ich eine zweite, etwas hellere Stimme als meine eigene, die aber einen jeden Melodiebogen, ein jedes Glissando beinahe zeitgleich mit mir sang, und sich klanglich so sehr mit meiner Stimme deckte, daß ich zuerst glaubte, ich hörte nur ein Echo meiner eigenen Stimme. Als hätte die Stimme meinen Gedanken erfasst, sang sie nun etwas abweichend von mir selbst, endete aber immer so bald nach mir, dass ich die Stimme nicht außerhalb meiner selbst orten konnte. Ich setzte mich auf die Mitte der Bühne, die Requisiten, der Zuschauerraum glühten vor meinen Augen. Ich schloß die Augen. Jetzt hörte ich die helle Stimme, ohne, dass ich selbst einen Ton tat. Ich hörte ihr zu. Ich horchte ihr. Zu atmen wagte ich nicht. Ich wünschte, dieser Gesang möge nie enden. Ich seufzte. Fiel hintenüber und lag ausgestreckt auf der Bühne.
Sprachlos und ohne Antwort auf jede Ansprache wurde ich heraus getragen. Der Dirigent muß auf mich eingeredet haben. Das Orchester hatte schon gestimmt. Tausende saßen schon lärmend auf den Rängen. Zwei Ärzte umstanden mich, schlugen zuerst sanft, dann fest auf meine Wangen. Unzählige Menschen sprachen mich bei meinem Namen an. Wasser wurde über mir ausgeschüttet. Ein Busen mir auf die Nase gesenkt. Wodka auf die Zunge getropft. Das Publikum endlich nach Hause geschickt. Ein Krankenwagen fuhr mich quer durch Rom in ein Krankenhaus. Dort lag ich vier Tage und Nächte. Und lauschte nur der Stimme. Lauschte nur dem Gesang.
Ich habe nie eine glücklichere Zeit gekannt. Am Abend des vierten Tages meiner Starre endete der Gesang. Brach plötzlich ab im schönsten Bogen. Schläuche steckten mir in Nase, Mund und die Arme. Als die Stimme erlosch, war niemand bei mir. Ich öffnete die Augen und sah noch das letzte Licht des römischen Tages, das letzte Glühen. Ich drehte mich zur Seite, riß Schläuche und Kabel aus dem Leib, öffnete das Fenster, stellte mich aufs Fensterbrett, breitete die Arme aus und warf mich in die großblättrigen Äste eines Busches, der dort zum Fenster hinaufwuchs. Es gab ein Rascheln und Reißen, ich glitt durch Äste und Blätter auf den Rasen, fiel auf den Rücken, stand auf und ging ruhigen Schrittes auf den offenen Spalt zu, den die beiden langgezogenen Gebäudeschenkel noch offen ließen. Ich spazierte durch den Spalt, trat aus dem Schatten in den letzten unverhofften Abglanz der Abendsonne.
Dort stand ich, bis die Sonne ganz verschwunden war. Ich winkte ein Taxi heran und ließ mich zu einem Restaurant fahren, das ich seit vielen Jahren kannte. Als ich kein Geld hatte, um den Taxifahrer zu bezahlen - er fluchte, und rief, er hätte es wissen müssen, ich sei ein pazzo, ein Verrückter- sang ich ihm noch im Aussteigen den ersten Takt, den ersten Ton bloß von O sole mio. Der Mann erblich, kroch mit gebeugtem Kopf, mit um Jahre gealtertem Gesicht aus seinem Taxi, umrundete es, öffnete mir langsam die Tür und geleitete mich ins Restaurant, wo er in respektvollem Abstand von meinem Tisch stehen blieb, dann, die Hände gefaltet, niederkniete.
Gästen, die auf mein einfaches weißes Leinennachthemd aufmerksam wurden, warf er Blicke voller Bedauern zu. Der Kellner wollte mir nichts bringen. Ich sang den ersten Ton, was sage ich, den ersten Anklang eines Tons, der Kellner raufte sich die Haare, sank auf die Knie, schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Die Gäste verstummten. Der Koch servierte mir wortlos, mit den Tränen kämpfend, ein Pilzrisotto. Hätte ich gewusst , dass dies der letzte Abend sein sollte, an dem ich Stimme hatte, ich hätte auch noch um ein Tiramisu gesungen. So aber begnügte ich mich mit dem göttlichen Risotto des Luca Paulo, dem Meisterkoch Roms, und verstummte. Ich konnte nicht einmal mehr „buona serata ancora“ wünschen, es kam nur ein leiser Wind aus meinem Hals. Ich schob es zunächst auf das Risotto, ein extrem scharf gewürztes Reiswerk. Der Taxifahrer, mir nun völlig ergeben, fuhr mich ins Hotel. Ihm habe ich auch meinen letzten Ruhm zu verdanken, ihm, meinem letzten Zuhörer, und vielleicht meinem einzigen Zuhörer je, denn nur er hat meine wahrhafte Stimme gehört, bei der schon ein Takt, was sage ich der erste Ton O sole mio genügt, um den stolzesten Mann das Heulen zu lehren.
Heute denke ich, dass dies mein erster und zugleich letzter Schritt auf dem Weg zu Lösung der Stimmaufgabe war. Zu horchen hatte ich begonnnen. Mehr als das zu verdauen war wohl in diesem einen Leben unmöglich. Ich habe mich klaglos in mein Verstummen gefügt. Immerhin habe ich drei Takte o sole mio genossen. Dazu das Pilzrisotto des Luca Paulo. Abglanz der Wahrheit.
Es würde an dieser Stelle zu viel technische Sachkenntnis, anatomische Vorbildung und das Jahrhunderte alte Wissen um musikalische Wirkweisen erfordern, um meine Erkenntnisse auch nur annähernd präzise wiedergeben zu können. Hier ist es nur mein Anliegen, eine Übersicht über die allgemeinen Fragen und über die Rahmenbedingungen der gewaltigen Stimmaufgabe zu geben, der jeder Sänger, ob er’s will oder nicht, ausgesetzt ist. Im öffentlichen Bewusstsein wird dies allzu leicht übersehen. Für die öffentliche Meinung ist der Sänger in seinem Singen, in seinen Liedern wichtig. In seinen Gesten, mit denen er einen Melodiebogen nachzeichnet, in dem Aufreißen seiner Augen beim Forte und, wenn möglich, in den tränenfeuchten Augen im Schlußton.
Und auch das schon nur noch am Rande, wahrscheinlich haben schon vor vielen Jahren die Menschen aufgehört, die Sänger zu hören, es ist nicht auszuschließen, dass es noch nie einen Sänger gegeben hat, der überhaupt von einem Nicht-Sänger gehört worden ist, möglich, dass bereits der erste gesungene Ton eines Menschen in den Höhlen der Vorzeit echolos verhallt ist. Es wird in Sängerkreisen die These, dass nur ein Sänger ein geeigneter Hörer sein kann, vertreten, und ernsthaften Einspruch hat es gegen diese Überzeugung bis heute nicht gegeben. Wie also soll man nun einem Nicht-Sänger, für den allein die Aufforderung, Gesang zu hören, eine maßlose Überforderung all seiner geistigen und sensorischen Kräfte darstellt, die horrende Aufgabe, im Gesang die Stimme zu erahnen, erklärbar machen? Es muß ihm als monströse Unmöglichkeit erscheinen, so, als forderte man ihn auf, direkt in die Mittagssonne der Wüste zu starren, um die Bewegung der einzelnen auf der Sonne stattfindenden Explosionen zu erkennen. Nichts wird er erkennen, es wird ihm alles nur ein Gebrüll von Licht sein, und, ist er ernsthaft und erträgt die erste Blendung, schließlich seine Netzhaut versengen.
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