Körper-Sprache
Mein Leserbrief zum Artikel "Zerbrechlich wie ein Glas" ( http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,435818,00.html)
im Spiegel am 7.9.2006 zum Fall “Kampusch”
Das Interview ist mir Anlaß, kritisch über die beliebte Vorstellung, der Körper "spreche" eine "eigene" "Sprache oder "verrate" dem Experten Dinge, die der Nicht-Experte nicht sehe, nachzudenken. Es zeigt sich dabei (und nicht nur in diesem Beispiel), daß die Beschreibungen körperlichen Verhaltens so vage sind, daß sie auf alltägliche Situationen ebenso zutreffen, wie auf jene, deren Deutung dem Laien angeblich nicht möglich ist, und für die der Experte zu Rate gezogen wird.
Die nähere Betrachtung solcher Deutungs-Szenarien zeigt dann, daß der jeweilige Orakelfachmann eigentlich gar nicht aus den körperlichen und stimmlichen Merkmalen (die Vagheit der Zeichen wüde ja ein solches Lesen gar nicht erlauben) liest, sondern daß er vielmehr die Vorinformationen über die zu analysierende Person nimmt und sich darauf einen Reim macht. Wie jeder andere auch. Körperliche und stimmliche Merkmale, die ja eigentlich Ausgangs-und Bezugspunkt der Entdeckung des dem Normalsterblichen Verborgenen sein sollen, werden dann auf die vorgefertigte Meinung einfach bezogen, wenn es passend scheint.
Ein paar Beispiele aus dem Interview:
Ich habe viel mit traumatisierten Menschen gearbeitet, insoweit war ich nicht überrascht.
- · Dass eine Traumatisierung der beobachteten Person vorliegt, wird vorausgesetzt. Nicht etwa aus Ihrem Verhalten geschlossen. Das denkt auch jeder Laie - jemand, der acht Jahre gefangen gehalten MUSS TRAUMATISIERT sein.Ihr Verhalten spielt keine Rolle. Also gibt es für die Stimm- udn Körperfachleute eigentlich auch gar nichts mehr zu tun. Das Eregebnis der Fachanalyse steht ja schon fest.
- Einschub: Ein theatralisches Experiment.
Das Publikum wird darauf vorbereitet, daß gleich eine besonders gefährliches Individuum die Bühne betreten wird. Ein Käfig aus Sicherheitsgals wird aufgefahren, der hinten durch einen Gittergang begehbar ist. Der Conferencier deutet den Hoizont der grausigen Verbrechen jener Persönlichkeit an und erläutert, daß fürs Publikum keine Gefahr bestehe, die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen würden nämlich von einem Spzialteam aus Alcatraz durchgeführt usw. Kurz: es wird eine ungeheure Erwratungshaltung aufgebaut. Preisfrage: Was müssten Sie, werter Leser, tun, um eine solche morbide, gefährliche und faszinierende Persönlichkeit darzustellen? Wozu würde der Körpersprachtrainer raten? Nun - nichts. Sie müssten nur den Gang entlang gehen, sich im Sicherheitskäfig auf den Stuhl sitzen und geradeaus schauen. Und wenn es Sie am Kopf juckt und Sie müssen sich kratzen - tun Sie es, und die jungen Damen im Publikum werden kreischen. Hopkins tut dieses nichts im "Schweigen der Lämmer" sehr ansehlich.
Bei Traumatisierungen kann es aber passieren, dass Flashbacks - unkontrollierte Erinnerungen - hochkommen. Dann musste sie auf zwei Ebenen gleichzeitig operieren.
- · Das ist trivial. Es wäre ja überraschend, wenn jemand locker auf zwei Ebenen operieren könnte. Wobei die zweite Ebene - der Flashback - eben auch nur eine von außen unterstellte Ebene ist.Übrigens scheint mir, sind die meisten Erinnerungen "unkontrolliert". Oder wie sähe eine "Kontrolle" Ihrer Erinnerung aus, wenn jemand Sie nach Ihrem Namen fragt?
- Frage Spiegel: War sie nicht vielleicht einfach nervös?
Sollmann: Ja und nein. Natürlich ist da Nervosität. Aber interessant ist doch zu sehen: Wie reagiert jemand unter Stress?
- · Die Farge thematisiert das Dilemma gut: Wie will der Experte den Streß der Erinnerungen von der Nervosität der Situation unterscheiden? Da ja beide zugleich auftreten? Über ein beliebiges (und sogar über ein beliebig belangloses Thema) vor Publikum zu sprechen - eine prickelnde Erfahrung, die jeder kennt. Möglich wäre es, wenn man die Auftrittsnervosität einer Person im Fernsehen gut kennt, bei ihr in einaml eine andere Art der Nervosität als die übliche zu erkennen und zu vermuten, daß etwas anderes mit im Spiel sein muß. Kennt man aber die Person bereits so gut - braucht es den Experten eben nicht mehr.
- Sie war nicht in der Lage, den Blickkontakt zu halten. Das war zuviel für sie.
- · Warum der Blickkontakt gehalten werden muß - das erklärt sich nicht . Es ist vielmehr die These des Autors, der Blickkontakt müsse gehalten werden oder würde im Normalfall (wer normiert Kommunikationsituationen? Gibt es hier DIN-Normen?) gehalten. Beobachten Sie einmal die Vielfalt, in der Menschen im wirklichen Leben mit Blickkontakt umgehen. Und unterstellen Sie nun in jedem Fall, in dem Sie oder jemand anders den Blick vom Gegenüber woanders hinschweifen lässt oder irgendwo fixiert, ein Trauma. Viel Arbeit für Therapeuten!
- Ihre Art, zu reagieren, lässt aber den Rückschluss zu, dass sie überschwemmt wird von den inneren Bildern und Emotionen. Sie redet, und plötzlich presst sie die Lippen aufeinander, der Blick bewegt sich nicht mehr und sie hält die Atmung an.
- · Dieser Rückschluß scheint mir nur die Wiederholung der Prämisse des Beobachters und seiner Vermutungzu sein , die beobachtete Person erlebe Flashbacks, WEIL sie traumatisieet sei, WEIL das bei Traumatisierten so sei - und die beobachtete Person MÜSSE durch ihre Biografie traumatsiert sein. Ein Zirkelschluß, der die Beobachtung der Wirklichkeit (Stimme und Körperverhalten) gar nicht benötigt. Die als Beweis für die aufgestellte These der Bilderflut herangezogenen Beobachtungen sind trivial - so trivial, daß sie wahrscheinlich bei beliebigen Personen allein beim Aussuchen und Bestellen einer Eiswaffel vorkommen: Lippen aufeinanderpressen, Blick starr, Atmung anhalten - um dann zu sagen: "Ach nee, doch lieber ohne Schoküberzug!"
- Das sind Reaktionen, die unter Stress wachgerüttelt werden, die aber natürlich auch als Auswirkungen dieser schrecklichen Situation zu verstehen sind.
- · Natürlich - denn das - die schreckliche Situation - ist ja die Ausgangslage, die allen bekannt ist, und die sich nicht aus den vagen und alltäglichen Verhalten der person ableiten lässt. Stellen wir uns vor, ein Körpersprachfachmann hätte das Interview ohne Ton gesehen und nicht gewusst, wer da worüber spricht.(Alternativ: der Experte wäre ein des Deutschen nicht Mächtiger). Wie wäre seine Analyse ausgefallen?
- Weitere Beobachtungen (außer der manchmal brüchigen Stimme) gibt es nicht. Trotzdem kann der Experte auch ohen Material Meinungen zum Auftritt abgeben ("Kam zu früh" etc). Diese basieren nicht auf Beobachtungen sondern auf diversen Meinungen zum Thema, wie sie wohl Viele teilen.
Man muss mit ihr umgehen wie mit einem äußerst zerbrechlichen Glas. Da kann die kleinste Erschütterung fatal sein.
- · Am Schluß kommt, obgleich es dem Analysten, wie er selbst sagt, nicht zusteht, Prognosen abzugeben, noch ein kleines worst-case-scenario. Ob die Beobachtete nun vor dem Interview mit dem Experten zerbrechlich wie Glas war, weiß niemand. Nach dieser Aussage aber muß die so charakterisierte Person neben ihrer Biografie auch noch mit dem Aufkleber "zerbrechlich wie Glas" umgehen. Und sich vor den keinsten Erschütterungen fürchten. Vielend Dank Herr Experte! Der als Grundlage seiner Charakterisierung und Prognose nur nichtssagende Trivialitäten vorzeigt. Nichts Neues also im Land der Orakelkunst und des Tratsches.
- Viel Spaß beim Betrachten der orakelartigen Mitmenschen wünscht
Olaf Nollmeyer.
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